Der Wohnsitz hat die Funktion einer sogenannten „Zuordnungsnorm“ für unterschiedliche Lebenssachverhalte für den Rechtsverkehr (z. B. Betreibung, Konkurs, Zivilklage usw.) und für das Gemeinwesen (z. B. Erwachsenenschutz, Sozialleistungen, Besteuerung usw.) mit dem Ziel, einen entsprechenden Anknüpfungspunkt zu schaffen.
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Der Wohnsitz bzw. die Wohnsitzbegriffe
1. Der Wohnsitz als örtlicher Anknüpfungspunkt für Rechte und Pflichten
Der Wohnsitz eines Menschen ist von wegleitender, faktischer und rechtlicher Bedeutung sowohl für das Individuum als auch für das staatliche Gesamtgefüge. Mit der Niederlassung in einer Gemeinde können denn auch zahlreiche Rechte und Pflichten verbunden sein. So bedarf es z. B. der Ausübung des Stimm- und Wahlrechts, der Berechtigung zum Bezug sozialrechtlicher Leistungen, aber auch der Verpflichtung zur Entrichtung fiskalischer Abgaben sowie der Mitwirkung der jeweiligen Behörden grundsätzlich einer territorialen Zuordnung als Ansatzpunkt, der das Verhältnis Person–Ort in die Terminologie des «Wohnsitzes» überführt.
2. Der Wohnsitz als Zuordnungsnorm
In diesem Sinne hat der Wohnsitz aus rechtlicher Sicht seinem Wesen nach die Funktion einer sog. «Zuordnungsnorm» für die örtliche Anknüpfung von unterschiedlichen Rechtsfolgen. Seiner Rechtsnatur entsprechend trägt er in einer allgemeinen Betrachtung jedoch keinen Eigenwert in sich, d. h. er entfaltet aus sich heraus (noch) keine konkreten Rechtswirkungen, sondern dient grundsätzlich dazu, im schweizerischen Inland Zuständigkeiten (z. B. für Administrativbehörden, Gerichte) in Bezug auf natürliche Personen zu regeln. Der Wohnsitz stellt so eine formale, abstrakte Verknüpfung dar, quasi eine «leere Rechtsbeziehung ohne Inhalt» zwischen einer Person und einem Ort. Seine materielle Bedeutung erlangt er erst dadurch, dass durch positiven Rechtssatz spezialrechtlicher Anwendungsnormen aus den verschiedenen Materien kausale Folgen sich seinem (eigentlichen) Bestehen anschliessen.
3. Verschiedene Wohnsitzbegriffe aufgrund unterschiedlichem Regelungsbedarf
3.1 Allgemeines
Die Schweizerische Rechtsordnung sieht denn auch verschiedene Wohnsitzbegriffe, die solche besonderen Anwendungsnormen zum Ausdruck bringen, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Recht vor. Ihrer verfassungsmässigen Intention folgend sind sie im Rahmen ihrer jeweils eigenen, inhärenten Zielsetzungen sowie daraus resultierenden Regelungsabsichten entsprechend konzeptioniert, nach deren besonderen Bedürfnissen umschrieben und in jeweils eigenen Erlassen geregelt.
3.2 Übersicht
Der Systematik einer allgemeinen Gliederung der Rechtsordnung folgend, wird dabei grundsätzlich zwischen dem privatrechtlichen und verschiedenen öffentlich-rechtlichen Wohnsitzbegriffen unterschieden. Der terminologischen Klarheit halber kann im öffentlich-rechtlichen Kontext auch der Begriff des «Domizils» verwendet werden.
ATSG [1]
[1] Art. 13 Abs. 1 ATSG enthält keine eigene Wohnsitzumschreibung, sondern verweist dazu auf Art. 23-26 ZGB. Aufgrund dieses ausdrücklichen Verweises auf die zivilrechtliche Regelung hat die Auslegung des Wohnsitzbegriffs grundsätzlich nach zivilrechtlichen Gesichtspunkten zu erfolgen (vgl. BSK ATSG-Hofer, 2020, Art. 13 N 4), auch wenn das Sozialversicherungsrecht dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (aus diesem Grund wird in der Gliederungsbetrachtung der Zusammenstellung der Begriff diesem öffentlichen Recht zugeordnet).
4. Der Wohnsitzbegriff des Zivilrechts
4.1 Begriff und Bedeutung
Im Rahmen der vorskizzierten Wohnsitzarchitektur kommt dem zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff nach ZGB eine zentrale und führende Stellung zu. Diesem wegleitenden Charakter kann aus zwei Perspektivenebenen nachempfunden werden: Auf der Ebene «Wohnsitz im Sinne des Privatrechts» lässt er sich aus der geschichtlichen Entwicklung ableiten, hat sich der Wohnsitz in seiner grundsätzlichen Bedeutung doch aus dem räumlichen Kollisionsrecht der Privatrechtskodifikation herausgebildet. Auf der Ebene «Wohnsitz im Sinne des Personenrechts» resultiert er in einer interpretierenden Betrachtung aber auch aus der generell grundlegenden Bedeutung dieses Personenrechts im Schweizerischen Rechtssystem. So bezeichnet es u. a. insbesondere die Träger von Rechten und Pflichten (das Rechtssubjekt) als Grundlage einer Interaktion, für deren Berechtigung bzw. Verpflichtung der Wohnsitz eine örtliche Verknüpfung darstellen kann. Aus diesem für die Rechtsordnung bedeutsamen Kontext heraus kann der zivilrechtliche Wohnsitz auch als genereller Wohnsitzbegriff oder «allgemeine rechtliche Adresse» eines Menschen hinsichtlich Verordnung von Zuständigkeiten bezeichnet werden.
4.2 Grundsätze des Wohnsitzrechts des ZGB
Zur Erreichung eindeutiger Verhältnisse bei der Herstellung von Zuständigkeiten postuliert das ZGB die beiden Grundsätze der Einheit (Ausschliesslichkeit) und der Notwendigkeit eines Wohnsitzes.
Ersterer besagt, dass jemand zur gleichen Zeit nur an einem einzigen Ort seinen zivilrechtlichen Wohnsitz haben kann (Art. 23 Abs. 2 ZGB).[2] Hält sich eine Person abwechslungsweise an verschiedenen Orten auf, so gilt als Wohnsitz derjenige Ort, zu dem sie die stärkeren Beziehungen unterhält.
Nach dem zweiten Grundsatz wird notwendigerweise jeder Person ein Wohnsitz zugeordnet. Dieser Grundsatz ergibt sich indirekt aus Art. 24 ZGB: Ein einmal begründeter (primärer) Wohnsitz bleibt bis zur Begründung eines neuen (fiktiv) bestehen (Abs. 1). Ist ein solcher früherer Wohnsitz nicht nachweisbar bzw. ein ausländischer Wohnsitz aufgegeben worden, gilt der Aufenthaltsort als (subsidiärer) Wohnsitz (Abs. 2).[3]
[2] Dieser Grundsatz ist insbesondere dann notwendig, wenn die bei einer Mehrzahl von Wohnsitzen entstehenden Wirkungen nicht nebeneinander bestehen können, wie das etwa bei der Bestimmung des auf ein Rechtsverhältnis anzuwendendes Recht im internationalen Privatrecht der Fall ist (vgl. Art. 20 Abs. 2, 1. Satz, IPRG, der Art. 23 Abs. 2 ZGB wiederholt; Bucher, 2009, § 13 N 329). Der Grundsatz hat also kollisionsrechtliche Bedeutung (vgl. Pedrazzini/Oberholzer, 1993, S. 104).
[3] Vgl. BGE 138 II 300 E. 3.6.1 S. 308; Hausheer/Aebi, 2016, § 9 N 09.18. Da die Anknüpfung spezieller Anschlussnormen an den Wohnsitz rechtliche Folgen mit sich zieht, hat seine Bestimmung dementsprechend normativen Charakter, ist Rechtsfrage (BK ZGB-Bucher, 1976, Vorbem. vor Art. 22-26, N 1). Die Zuordnungen von Art. 24 ZGB dienen deshalb auch zur Vermeidung der für die Rechtsanwendung Probleme bietende Wohnsitzlosigkeit. So soll sich beispielsweise niemand einer Rechtswirkung durch die Einrede entziehen, er habe nirgends Wohnsitz (BK ZGB-Bucher, 1976, Art. 24 N 2; vgl. auch schon ZK ZGB-Egger, 1930, Art. 24 N 1).
4.2.1 «Aufenthalt» als objektives Tatbestandselement
Das Grundverständnis über den zivilrechtlichen Wohnsitz liegt in der Vorstellung des Wohnens am Ort des Lebensmittelpunkts. Dabei beinhaltet der Aufenthalt als erstes Begriffselement im wohnsitzbegründenden Rechtssinne nicht schon eine blosse physische Ortsanwesenheit an sich, sondern bedarf eines Verweilens, welches auf eine wesentliche und nachhaltige Zweckverbindung angelegt ist. Dies erfordert zunächst auch die (schon rein sprachlich einen Wohnsitz charakterisierende) Nutzung von bewohnbaren Räumen am entsprechenden Ort.[4] Ein nachhaltiges Verweilen impliziert daneben aber auch noch eine persönliche Absicht hinsichtlich der Qualifikation einer örtlichen Anwesenheit.
4.2.2 «Absicht dauernden Verbleibens» als subjektives Tatbestandselement
Die Absicht dauernden Verbleibens als zweites Begriffselement, welche Urteilsfähigkeit voraussetzt, ist kein ausschliesslich voluntativ bestimmtes Tatbestandsmerkmal, d. h. es kommt nicht auf den inneren Willen als rein subjektives Element einer Person an. Vielmehr muss diese Absicht objektiv, d. h. für Dritte erkennbar, aus der Gesamtheit der Lebensumstände hervorgehen.
Diese Umstände (Indizien) ergeben sich ihrerseits aus dem tatsächlichen Verhalten einer Person,[5] welches zum Ausdruck bringt, dass sie in faktischer Weise an einem bestimmten Ort den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen verwirklicht hat.[6] Die durch äussere, wahrnehmbare Tatsachen erkennbare Absicht muss dabei auf einen dauernden Aufenthalt, im Sinne eines «Bis auf Weiteres»,[7] ausgerichtet sein. Die Intention, einen Ort später (aufgrund veränderter nicht mit Bestimmtheit vorauszusehender Umstände) wieder zu verlassen, schliesst eine Wohnsitzbegründung nicht aus. Die Absicht dauernden Verweilens muss nur im Moment der Begründung eines Wohnsitzes bestanden haben.
4.2.3 Perpetuierung des bisherigen zivilrechtlichen Wohnsitzes
Art. 24 Abs. 1 ZGB bildet das «Korrelat» zum Grundsatz der Notwendigkeit eines Wohnsitzes und verunmöglicht einer Person grundsätzlich, ihren Wohnsitz aufzugeben, ohne einen neuen zu begründen. Hat eine Person den Ort ihres bisherigen Wohnsitzes verlassen und noch keinen neuen Wohnsitz begründet, besteht der bisherige als fiktiver weiter. Diese zeitlich nicht limitierte Fortdauer (> Perpetuierung) des bisherigen, primären Wohnsitzes, dient dem Schutz der Verkehrssicherheit und so denn auch zur Vermeidung einer für die Rechtsanwendung Probleme bietende Wohnsitzlosigkeit. Ob diese Fiktion auch im öffentlichen Recht gilt, muss aufgrund der funktionalisierenden Auslegung für jedes Rechtsgebiet gesondert bestimmt werden.
[4] BGE 96 I 145 E. 4c S. 149; vgl. auch Riemer, 2002, N 183. Der tatsächliche Aufenthalt im Verständnis eines Wohnens ist in dem Sinne ein Bestandteil des Lebensmittelpunktes. Der blosse Wille zur Wohnsitznahme an einem Ort genügt somit nicht (vgl. BGer 9C_1056/2010 vom 21. März 2011 E. 4). Die Art dieses Wohnens hingegen ist unerheblich und kann so z. B. im eigenen Haushalt oder bei Angehörigen, im gemieteten Zimmer, im Hotel oder in einer Pension etc. stattfinden (vgl. ZK-ZGB Egger, Art. 23 N 20).
[5] CHK ZGB-Breitschmid/Jungo, 2016, Art. 23 N 3. Dazu gehören auch tatsächliche und rechtliche Beziehungen zu einem Ort. Es geht darum, festzustellen, wo eine Person ihre intensivsten gesellschaftlichen, familiären und beruflichen Beziehungen unterhält.
[6] Vgl. BGer 9C_295/2019 vom 18. Juni 2019 E. 2.2.1.; BGE 133 V 309 E. 3.1 S. 312. Dieser Lebensmittelpunkt befindet sich im Normalfall an dem Ort, wo man schläft (Brückner, 2000, N 319), die Freizeit verbringt, die persönlichen Effekten aufbewahrt, mitunter über einen Telefonanschluss sowie eine Postadresse verfügt (BGer 9C_600/2017 vom 9. August 2018 E. 2.2).
[7] BGer 4A_695/2011 vom 18. Januar 2012 E. 4.1. Als Mindestdauer wird üblicherweise ein Jahr postuliert (BGE 143 II 233 E. 2.5.2 S. 238).
4.3 Geltungsbereich
Die Art. 23 ff. ZGB entwickeln und regeln grundsätzlich nur den zivilrechtlichen Wohnsitz. Sie entfalten dementsprechend dann unmittelbare Geltung, wenn Bestimmungen des materiellen Privatrechts diesen Wohnsitzbegriff erwähnen.[8] Das öffentliche Recht legt den Wohnsitz in seinem Bereich autonom fest. Es kann ihn eigenständig definieren,[9] wenn auch weitgehend (mit gewissen Modifikationen) in Anlehnung an den zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff.[10] Es kann aber auch mittels Verweisung zu einer entsprechend mittelbaren Geltung der zivilrechtlichen Normierungen führen: Entweder verweist ein Gesetz ausdrücklich auf die Anwendung der ZGB-Vorschriften,[11] oder die Verweisung geht stillschweigend einher. Dabei ist in einem Erlass der Wohnsitz unspezifisch umschrieben und wird in der Praxis dahingehend ausgelegt, als dass an die Wohnsitzbestimmungen des Zivilrechts angeknüpft wird.[12]
[8] Umstritten ist Verhältnis der Wohnsitznormen des ZGB zu denjenigen des IPRG, welches z. B. in Art. 20 Abs. 1 lit. a den freiwilligen Wohnsitz wie in Art. 23 Abs. 1 ZGB gleich umschreibt, indessen weder einen abgeleiteten (Art. 25 und 26 ZGB), noch einen fiktiven (Art. 24 Abs. 1 ZGB) kennt und die entsprechenden Bestimmungen des ZGB für nicht anwendbar erklärt (Art. 20 Abs. 2 IPRG). Vgl. weiterführend BSK ZGB-Staehelin, 2018, Art. 23 N 4.
[9] Wie dies etwa in Art. 3 DBG oder Art. 4 ZUG verwirklicht ist.
[10] Vgl. Locher, 2. Aufl., Art. 3 DBG N 3. Das betrifft vor allem die Art. 23 und 25 ZGB, während Art. 24 (gerade hinsichtlich seiner Fiktion in Abs. 1) oft nicht ins öffentliche Recht übertragen wird (z. B. im Bereich von Art. 46 Abs. 1 SchKG).
[11] Z. B. Art. 13 Abs. 1 ATSG, wonach sich der Wohnsitz einer Person nach den Art. 23-26 ZGB bestimmt.
[12] Z. B. im Betreibungsrecht (Art. 46 Abs. 1 SchKG); vgl. BGE 119 III 54 E. 2a S. 55.
5. Der Wohnsitzbegriff der Einwohnerkontrollen
5.1 Begriff und Bedeutung
Der Wohnsitzbegriff einer Einwohnerkontrolle bringt den gesetzlichen Auftrag der Kantone bzw. Gemeinden zum Ausdruck, alle Personen administrativ zu erfassen, die sich auf dem entsprechenden Territorium niederlassen oder aufhalten. Das in diesem Zusammenhang geführte Einwohnerregister gibt Bestand, Entwicklung sowie Struktur der Bevölkerung wieder, ist (Daten-)Grundlage für die einwohnerbezogene Verwaltungstätigkeit sowie für statistische Zwecke. Da die Gemeinwesen also ein legitimes Interesse an der Kenntnis ihrer zu-, um- und wegziehenden Einwohner/innen haben, besteht in der Schweiz allgemein eine entsprechende Meldepflicht für in dieser Hinsicht betroffene Personen zwecks Registrierung. Daraus abgeleitet wird diese Form der Wohnsitznormierung auch als melde- oder registerrechtlicher Wohnsitz bezeichnet (im Folgenden «melderechtlicher Wohnsitz»), ist verfassungsmässig verankert in der Niederlassungsfreiheit nach Art. 24 BV und findet Ausdruck in den Ausprägungen «Niederlassung» (bzw. Hauptwohnsitz) und «Aufenthalt» (bzw. Nebenwohnsitz).
5.2 Die Niederlassungsgemeinde bzw. der Hauptwohnsitz
Die Bestimmungsfaktoren der melderechtlichen Niederlassung/des melderechtlichen Hauptwohnsitzes gestalten sich im Normalfall nach den gleichen Merkmalen wie der Wohnsitzbegriff des ZGB, da eine Person ihre Niederlassung im Ergebnis grundsätzlich an dem Ort hat, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält und wo mithin der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen besteht. Es wird daher im Regelfall auch angenommen, dass der zivilrechtliche Wohnsitz einer Person dort sei, wo sie sich zur Niederlassung/zu Hauptwohnsitz angemeldet hat.
Dabei müssen zwei Begriffselemente kumulativ erfüllt sein:
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- Der Aufenthalt als objektives, äusseres Merkmal (für Dritte äusserlich wahrnehmbar):
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- Physische Anwesenheit, Nutzung von bewohnbaren Räumen.
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- Der Aufenthalt als objektives, äusseres Merkmal (für Dritte äusserlich wahrnehmbar):
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§ 3 Niederlassungsgesetz spricht vom Wohnsitznehmen, womit darauf hingewiesen wird, dass es für die Niederlassung auf das tatsächliche Wohnen ankommt. Eine Niederlassung kann also nur begründen, wem während dieser Zeit dauernd eine Wohngelegenheit in der Gemeinde zur Verfügung steht. Diese Wohngelegenheit hat dabei den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu entsprechen, z. B. also baupolizeilich als Wohnraum genehmigt sein. Der/die Meldepflichtige muss in dem Sinne tatsächlich und rechtlich über den Wohnraum rechtlich verfügen können.
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- Die Absicht dauernden Verbleibens als subjektives, inneres Merkmal:
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- Setzt Urteilsfähigkeit und Mündigkeit voraus.
- Zeitliche Komponente: Mindestens 3 aufeinanderfolgende Monate oder 3 Monate innerhalb eines Jahres. Bei einer kürzeren Anwesenheit ist eine Anmeldung weder nötig noch möglich.
- Wer zur Niederlassung angemeldet wurde, wird nicht aus dem Register gestrichen, wenn er sich nachträglich anders entscheidet und vor Ablauf von drei Monaten wieder wegzieht. Dies in Anlehnung an die Praxis zum Wohnsitzbegriff des ZGB und im überwiegenden öffentlichen Interesse an der Vollständigkeit der Wiedergabe der Migrationsbewegung aus dem Register.
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- Die Absicht dauernden Verbleibens als subjektives, inneres Merkmal:
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Nicht subjektive Wünsche oder Motive hinsichtlich der Verbundenheit mit einem Ort sind massgebend, sowohl die Absicht des dauernden Verbleibens an einem Ort wie auch der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen einer Person, muss sich durch feststellbare Sachverhalte erhärten lassen (> objektiv, d. h. für Dritte erkennbar). Daraus ist zu schliessen, dass keine Niederlassung ohne das objektive Moment der physischen Anwesenheit in einer Gemeinde begründet werden kann.
5.3 Die Aufenthaltsgemeinde bzw. der Nebenwohnsitz
5.3.1 Allgemeines
In der Botschaft zum RHG („Registerharmonisierungsgesetz“) wird festgehalten, der Begriff «Aufenthalt» beziehe sich auf eine minimale Anwesenheitsdauer zu einem bestimmten Zweck ohne Absicht dauernden Verbleibens und für eine begrenzte Dauer. Im Falle des Aufenthalts verfügten die betroffenen Personen weiterhin über einen anderen Niederlassungsort. Der BFS-Merkmalskatalog ergänzt diesbezüglich, dass es sich bei der vorliegenden Anwesenheitsform um ein zusätzliches Verweilen an einem Ort ausserhalb der Niederlassungsgemeinde handle. Weiter führt die Botschaft zum RHG aus, dass der Aufenthalt an einem Ort zum Besuch einer Lehranstalt und die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs-, Versorgungs-, Heil- oder Strafanstalt aufgrund des ZGB keinen Wohnsitz begründe, sondern eben nur einen Aufenthaltsort bilde.
5.3.2 Minimale Anwesenheitsdauer
Nach Art. 3 lit. c RHG bedarf es für einen melderechtlichen Aufenthalt einer tatsächlichen Anwesenheit von mindestens dreier aufeinanderfolgender Monate oder dreier Monate innerhalb eines Jahres. Diese zeitliche Prämisse besteht einerseits in einer Divergenz zu Art. 23 Abs. 1 ZGB, welcher keine Mindestanwesenheit ausdrücklich vorschreibt. Andererseits scheint es auch beachtenswert, dass das RHG nur für die Annahme eines Aufenthalts eine solche minimale Anwesenheit von drei Monaten verlangt, nicht aber für die Niederlassung. Da die Begründung der Niederlassung im Gegensatz zum Aufenthalt eine auf Dauer ausgerichtete und intensive Beziehung zur Gemeinde (Lebensmittelpunkt) voraussetzt, ist diese Mindestdauer für die Annahme einer Niederlassung eher zu verlängern, nicht aber zu verkürzen. Unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung eines Einwohnerregisters als «Mengengerüst» u. a. für die Planung einwohnerbezogener Aufgaben, der eine gewisse zeitliche Konstanz zu Grunde liegt, kann daraus gefolgert werden, dass eine melderechtliche Registrierung nicht vorgesehen (d. h. nicht nötig/nicht möglich) ist bei Personen, bei denen von Anfang an bekannt ist, dass ihre Anwesenheit in der Gemeinde weniger als diese drei Monate (am Stück oder pro Jahr) dauern wird.[13]
[13] Wer hingegen zur Niederlassung angemeldet wurde, wird nicht aus dem Register gestrichen bzw. die Anmeldung wird nicht annulliert, wenn sich diese Person entschliesst, aufgrund veränderter Lebensbedingungen (z. B. neue Arbeitsstelle an einem entfernteren Ort) vor Ablauf von drei Monaten wieder wegzuziehen. Dies in Anlehnung an die Praxis zum Wohnsitzbegriff des ZGB und im überwiegenden öffentlichen Interesse an der Vollständigkeit der Wiedergabe der Migrationsbewegungen des Einwohnerregisters (vgl. Botschaft RHG, 2005, S. 440 f.).
5.4 Geltungsbereich
Der Geltungsbereich des melderechtlichen Wohnsitzes soll aus zwei Perspektiven untersucht werden. Hinsichtlich Geltung der Begrifflichkeiten ist festzuhalten, dass mit dem RHG die für das Register-/Melderecht zentralen Umschreibungen der Niederlassungsgemeinde und der Aufenthaltsgemeinde bzw. der Anwesenheitsformen Niederlassung und Aufenthalt bundesrechtlich vereinheitlicht wurden, was für die Erreichung des Harmonisierungsziels im Bereich der Einwohnerregisterführung unerlässlich ist. So hält das Bundesgericht in einem Grundsatzentscheid fest, das heutige Bundesrecht überlasse dem kantonalen Gesetzgeber trotz der bestehenden kantonalen Kompetenzen im Bereich des Registerrechts bezüglich der genannten Begriffe keinen definitorischen Spielraum mehr und gewähre auch für die Rechtsanwendung in den Gemeinden keinen geschützten Autonomiebereich mehr. Die Fragen rechtlicher Natur im Zusammenhang mit den erwähnten Begriffen seien harmonisiert. Hinsichtlich rechtwirksamer Übertragung der melderechtlichen Normierungen auf andere Rechtsgebiete kann, wiederum im Sinne der Funktionalisierung der Wohnsitzbestimmungen, dahingehend argumentiert werden, dass aufgrund unterschiedlicher Zweckbestimmungen für andere Rechtsgebiete adäquat kausale Folgen nicht direkt abgeleitet werden können.[14] Hingegen ist diesem melderechtlichen Wohnsitz ein wichtiger Indizcharakter[15] für die Bestimmung von rechtlichen Beziehungen zu einem Ort einzuräumen, da amtlich erhobene Daten über die tatsächlichen Verhältnisse von Personen einem Einwohnerregistereintrag zugrunde liegen.
[14] Das Bundesgericht hält in seinem Urteil 2P.49/2005 vom 10. August 2005 auch fest, dass die polizeiliche Niederlassung, trotz gewisser Parallelen, weder mit dem zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff nach ZGB, noch mit einem der Spezialdomizile (z. B. dem politischen Wohnsitz im Sinne des BPR oder dem Unterstützungswohnsitz gem. ZUG) völlig übereinstimmt. Je nachdem, in welchem rechtlichen Zusammenhang sich die Frage stellt, haben dementsprechend verschiedene Behörden in unterschiedlichen Verfahren über den Wohnsitz zu entscheiden, wobei sie nicht zwingend gleiche, jedoch meist ähnliche Kriterien anwenden.
[15] Vgl. BGer 2C_919/2011 vom 9. Februar 2012 E. 3.2. Der blosse Indizcharakter kann auch daran erkannt werden, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Niederlassung und Aufenthalt nach dem harmonisierten Register-/Melderecht relativ spärlich geblieben ist. So wird in BGer 2C_270/2012 vom 1. Dezember 2012 in E. 2.1 nur noch auf folgende Urteile verwiesen: BGer 2C_173/2012 vom 23. August 2012, BGer 2C_413/2011 vom 13. April 2012 und BGer 2C_919/2011 vom 9. Februar 2012. Diesen Umstand kann darin begründet gesehen werden, dass Domizilstreitigkeiten in der Praxis wohl eher selten als rein melderechtliche Wohnsitzangelegenheit geführt werden, sondern in Sachbereichen, die eine grössere Bedeutung für die betroffenen Parteien aufweisen. Dies sind z. B. Steuerrecht, Zivilrecht oder Leistungspflichten im Bereich Sozialhilfe- und Sozialversicherungsrecht, für die der melderechtliche Wohnsitz eben nur Indizcharakter hat.
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