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USA – Gesundheitskosten: Der Mühlstein am Hals der US-Wirtschaft

Text von Martin Lanz, NZZ (Erstpublikation 11. Mai 2017)

Die Gesundheitskosten belasten die Firmen und den Staat immer stärker.

Kein Land gibt so viel aus für die Gesundheit wie die USA. Statt diesen Kostenblock zum Thema zu machen, hoffen Firmen in der Ära Trump auf Steuersenkungen. Warren Buffett kritisiert diese Haltung.

 

Die US-Republikaner versuchen derzeit, «Obamacare» zu ersetzen. Dass es dabei nicht um eine echte Reform des Gesundheitswesens geht, sieht man daran, dass die stetig steigenden Ausgaben in der Debatte kein Thema sind. Im Gegenteil: Unter dem republikanischen Vorhaben dürften die nationalen Gesundheitsausgaben gar noch stärker steigen, wenn sich Bedürftige nicht versichern und als Folge davon die Notaufnahmen in den Spitälern zunehmen.

Bald ein Fünftel des BIP

Die Arbeitgeber halten sich weitgehend aus der Diskussion heraus. Sie greifen lieber nach den von Präsident Trump in Aussicht gestellten Steuersenkungen. Dabei leiden gerade sie unter den explodierenden Gesundheitsausgaben, die bald einmal 20% der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) ausmachen werden.

Als das US-Gesundheitsministerium die Daten 1960 erstmals erhob, betrug die Quote gerade einmal 5%. Entsprechend viele Amerikaner sind im privaten Gesundheitswesen beschäftigt. Jüngst waren es 15,7 Mio. Personen. Das sind 10,7% aller ausserhalb der Landwirtschaft Beschäftigten. Absolut hat sich die Beschäftigung im Gesundheitswesen
seit 1990 praktisch verdoppelt. Die Daten der OECD zeigen, dass die Quote der US-Gesundheitsausgaben konkurrenzlos ist. Sie übertrifft selbst jene der Schweiz um 50%. Nicht nur kommt kein Land auch nur annähernd an die USA heran, es gibt auch kein Land, das eine dermassen explosive Dynamik kennt. In den USA betrug der Anstieg von 1995 bis 2014 etwas mehr als 4 Prozentpunkte des BIP. Mit Ausnahme von Japan, das durch die Alterung besonders herausgefordert ist und eine Zunahme um 3,6 Punkte sah, stieg der Anteil der Gesundheitskosten am BIP über die zwanzig Jahre sonst überall um weniger als 2,5 Prozentpunkte.

Die Belastung durch die Unternehmenssteuer nimmt im Gegensatz dazu in den Vereinigten Staaten stetig ab, wie jüngst auch der Investoren-Guru Warren Buffett an der Jahresversammlung seiner Berkshire-Hathaway-Holding vorrechnete. Uncle Sam hat damit im vergangenen Jahr lediglich Einnahmen von 1,6% des BIP erzielt. Mit Ausnahme
einiger Boomperioden haben die USA auf Bundesebene seit den 1970er Jahren nie mehr mehr als 2% des BIP mit dieser Steuer eingenommen.

Nicht die Steuern also, sondern die hohen Gesundheitskosten bremsen die Unternehmen, so lautet Buffetts These. US-Firmen sind von der Kostenexplosion im Gesundheitswesen direkt betroffen, weil sie im amerikanischen System seit je einen wesentlichen Teil der nationalen Gesundheitsausgaben schultern. Dies, weil die meisten Arbeitgeber den Löwenanteil der Krankenversicherungsprämien ihrer Angestellten (und von deren Familien) finanzieren.

Laut der Kaiser Family Foundation betrug 2016 im Durchschnitt die Jahresprämie für einen via den Arbeitgeber krankenversicherten Arbeitnehmer mit Familiendeckung über 18’000 $. 1999 waren es 5’800 $ gewesen – das ist eine Verdreifachung in weniger als 20 Jahren. Der Arbeitgeberanteil betrug dabei je nach Jahr zwischen 71 und 75%. Im Jahr
2016 machte das 12’900 $ aus, während der Arbeitnehmeranteil 5300 $ betrug.

Kumuliert ist diese durchschnittliche Krankenversicherungsprämie seit 1999 um 213% gestiegen, während das allgemeine Preisniveau um 44% zugenommen hat. Der Arbeitnehmerbeitrag ist dabei um 242%, der Arbeitgeberbeitrag um 203% gestiegen. Das heisst, dass es die Arbeitgeber seit einigen Jahren schaffen, die steigenden Versicherungskosten bis zu einem gewissen Grad auf ihre Angestellten abzuwälzen. Das äussert sich nicht nur in steigenden Prämienanteilen der Arbeitnehmerbeiträge. Arbeitgeber schliessen aus Kostengründen auch zunehmend Policen für ihre Angestellten ab, die höhere Selbstbehalte und andere Beteiligungen an den Behandlungskosten vorsehen. Dank solchen Massnahmen ist laut dem US-Gesundheitsministerium der Anteil von 20% an den nationalen Gesundheitsausgaben, den Privatunternehmen finanzieren, seit einigen Jahren stabil. Ein Fünftel von den 3,6 Bio. $, auf die die nationalen Gesundheitsausgaben für das laufende Jahr veranschlagt werden, ist aber ein riesiger Kostenblock.

Permanente Verzerrung

An der Explosion der Gesundheitsausgaben sind die Arbeitgeber allerdings nicht unschuldig, weil in den USA die Krankenversicherung einen wichtigen, manchmal gar entscheidenden Teil des Entschädigungspakets für die Angestellten ausmacht. Der Grund ist, dass während der Lohnkontrolle im Zweiten Weltkrieg die Firmen begannen, sich mit Sonderleistungen wie dem Angebot einer Krankenversicherung zu behelfen, um knappe Arbeitskräfte bei Laune zu halten oder zu gewinnen. Der War Labor Board entschied damals, die von Arbeitgebern ausgerichteten Versicherungsprämien nicht als Lohnbestandteil zu betrachten und von der Einkommensbesteuerung auszunehmen.

Der Entscheid war folgenschwer, denn die Steuerbefreiung bedeutet nichts anderes als eine Subvention für das US-Gesundheitswesen. Über die Zeit hat das zur Aufblähung der Gesundheitsausgaben beigetragen, weil ein Anreiz zur Vergabe von zu grosszügigen Versicherungspolicen besteht. Die Steuerbefreiung führt zudem zu Ausfällen beim Fiskus. Laut dem Finanzministerium dürften die Mindereinnahmen des Staats 2017 über 220 Mrd. $ und bis 2026 kumuliert gegen 3 Bio. $ betragen. Das sind pro Jahr mehr als 1% des BIP. Warren Buffett weiss um diese Verzerrungen, weshalb er im Prinzip eine staatliche Einheitsversicherung unterstützt. Von einer solchen Diskussion oder nur
schon vom Begriff der Kostenkontrolle ist Washington aber weit entfernt.

 

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