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Fürsorgepflicht – Können Sie in der Schweiz verklagt werden?

Text von RA Michel Chavanne in Zusammenarbeit mit RA Alec Crippa, r&associés

Rechte und Pflichten von Schweizer Unternehmen und Organisationen gegenüber ihren Geschäftsreisenden und Expatriates.

Dieser Artikel behandelt die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (…)

 

(…) gegenüber den Arbeitnehmern aus Sicht des Schweizer Rechts, mit besonderer Berücksichtigung von Unternehmen und Organisationen, die in Gebieten mit hohem Risiko oder in einem gefährlichen (komplexen) Umfeld tätig sind.

In unserer globalisierten Welt, in der die Mobilität unaufhörlich zunimmt und sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber in Gegenden mit wechselndem, instabilem und manchmal sogar gefährlichem politischem Umfeld reisen wollen oder müssen, nimmt das Arbeitsrecht zwangsläufig eine zentrale Stellung ein. Während Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeder gegenüber dem anderen Rechte und Pflichten geltend machen können, wissen beide, dass sie Mittel und Wege zur Zusammenarbeit und – notgedrungen – zur Klärung von Fragen im Zusammenhang mit Zwischenfällen, Unfällen und manchmal sogar Schlimmerem finden müssen.

Im Bereich Arbeitsrecht ist selten alles endgültig festgeschrieben, dies nicht einmal in einer Rechtsordnung wie der schweizerischen, die sich ansonsten durch eine relative Stabilität auszeichnet.

Die vorliegenden Ausführungen haben zwei Ziele:

  • einerseits die Sensibilisierung der Arbeitgeber für ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitnehmern,
  • andererseits das Aufzeigen einiger Wege zur Verringerung des Risikos einer Verletzung der entsprechenden Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmern.

Dies im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichts sowie kantonaler Rechtsprechung.

 

Das Policy Paper ist vor allem für Kadermitarbeiter, Manager und Personalverantwortliche von Organisationen gedacht, welche in einem internationalen Kontext tätig sind und Arbeitnehmer ins Ausland reisen lassen oder sie für kürzere oder längere Zeit in andere Länder entsenden.

Die Schweizer Gesetzgebung und Rechtsprechung im Bereich Arbeitsrecht unterscheidet kaum zwischen verschiedenen Arten von Arbeitgebern. Ein Wirtschaftsunternehmen, eine humanitäre Organisation und eine Organisation, die Journalisten in Krisengebiete entsendet, werden aus Sicht des Arbeits- und des Sozialversicherungsrechts mehr oder weniger gleich behandelt.

In der Schweiz entspricht die arbeitsrechtliche Verantwortung von internationalen humanitären Organisationen gemäss Recht und Rechtsprechung mit anderen Worten jener jedes anderen Arbeitgebers, ob dieser nun ein multinationaler Konzern oder eine KMU sei.

Die Schweizer Gerichte zögern nicht, Arbeitgebern im Bereich Fürsorgepflicht immer strengere Verhaltensgrundsätze aufzuerlegen. Das gilt auch für Organisationen mit ideellem Zweck, wie ein Bundesgerichtsentscheid von 2012 zeigt (Siehe Bundesgerichtsentscheid 2C_462/2011 vom 9. Mai 2012).

Die Haftung des Arbeitgebers im Zusammenhang mit seiner Fürsorgepflicht ist somit im Schweizer Recht nicht von der Rechtsform oder dem Zweck (auch wenn dieser ideell ist) der Organisation abhängig.

 

Zusammenfassung

Anwendbares Recht

Zuerst einmal muss festgestellt werden, dass es nicht immer einfach ist, das auf ein Arbeitsverhältnis anwendbare Recht zu ermitteln, vor allem dann nicht, wenn es um ein Arbeitsverhältnis in einem internationalen Umfeld geht.

Die Vertragsparteien, d. h. der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, können unter gewissen Bedingungen die Anwendung bestimmter nationaler Regeln vereinbaren. Treffen die Vertragsparteien keine entsprechende Vereinbarung, ist nach Schweizer Recht grundsätzlich das Recht des Staates anwendbar, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.

Auf keinen Fall aber kann ausländisches Recht angewendet werden, wenn dieses zu einem mit der Schweizer Rechtsordnung absolut unvereinbaren Resultat führt.

Gerichtsstand

Im Allgemeinen erklären sich die Schweizer Gerichte bei Klagen zuständig, die am Wohnsitz des Beklagten oder am Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, eingereicht werden.

Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

Das Arbeitsrecht in der Schweiz besteht aus einer Vielzahl von Bestimmungen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts. Bei der Begutachtung eines Einzelfalls muss die Gesamtheit der anwendbaren Rechtsnormen beachtet werden.

Wird Arbeit ausserhalb der Schweiz verrichtet, muss der Arbeitgeber der Frage der Fürsorgepflicht besondere Aufmerksamkeit schenken. Die entsprechenden Pflichten des Arbeitgebers basieren auf Artikel 328 des Obligationenrechts (OR; SR 220), der Schweizer Leitnorm in dieser Frage, und unterteilen sich wie folgt:

  • Informationspflicht;
  • Präventionspflicht;
  • Kontrollpflicht/Pflicht zur Überwachung, insbesondere der Einhaltung von
  • Instruktionen und Sicherheitsbestimmungen;
  • Interventionspflicht.

Die Art und die Intensität des Eingreifens eines Arbeitgebers hängen von einer Reihe von Faktoren ab (Zweck der Organisation, Fähigkeiten und Erfahrung des Arbeitnehmers, Arbeitsumgebung, Know-how der Organisation und anderer Unternehmen der gleichen Branche) und müssen nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit beurteilt werden.

Je höher die Risiken für die Arbeitnehmer sind, desto bestimmter und entschiedener muss der Arbeitgeber eingreifen. Die Intervention kann dann sogar die Freiheit des Arbeitnehmers einschränken, der sich den Weisungen seines Arbeitgebers fügen muss.

Im Allgemeinen haftet der Arbeitgeber nicht für den Ehepartner, den festen Partner und die Kinder des Arbeitnehmers. Es gibt jedoch Situationen, in denen der Arbeitgeber für diese Personen Verantwortung übernehmen muss – vor allem in einem schwierigen internationalen Umfeld, oder wenn die physische oder psychische Integrität des Partners oder der Kinder in Gefahr geraten könnte.

Als von Arbeitgebern häufig ignorierte Risiken ist auch die Verantwortung für ihre sich auf Geschäftsreisen befindlichen Arbeitnehmer und die Fürsorgepflicht nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses zu erwähnen.

Bei einer Verletzung der Fürsorgepflicht müssen der Arbeitgeber und seine Vertreter, vor allem seine Organe, mit verschiedenen Sanktionen rechnen. Im Zivilrecht sind dies hauptsächlich das Leisten von Schadenersatz und einer Genugtuung. Weitere Sanktionen können von den Verwaltungs-, aber auch durch die Strafverfolgungsbehörden verhängt werden. Es kommt nicht selten vor, dass die Strafverfolgungsbehörden in der Folge von Unfällen, Belästigungen und anderen Zwischenfällen Untersuchungen einleiten, die zu strafrechtlichen Sanktionen führen können.

Die Rechte des Arbeitgebers

Die Rechte des Arbeitgebers in der Schweiz lassen sich hauptsächlich aus Art. 321a OR ableiten. Dieser Artikel ist das Gegenstück zu Art. 328 OR.

Der Arbeitnehmer hat die ihm übertragene Arbeit sorgfältig auszuführen und die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren. Diese Sorgfaltspflicht kann und muss – genauso wie die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers – für jedes Arbeitsverhältnis definiert werden, unter Berücksichtigung des Berufsrisikos, des Bildungsgrades oder der Fachkenntnisse, die für die Arbeit verlangt werden, sowie der Verantwortung des Arbeitnehmers und der Ziele des Vertrags.

Je nach den Umständen muss der Arbeitnehmer selber spontan Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und zur Senkung der Risiken treffen, wie dies beispielsweise auf Baustellen der Fall ist. Das Nichtbeachten von Sicherheitsmassnahmen kann einen Arbeitgeber dazu zwingen, Sanktionen zu treffen, die im schlimmsten Fall bis zur fristlosen Entlassung gehen können (Art. 337 OR).

Schlussfolgerungen, Empfehlungen und Bemerkungen

Aus all diesem ergibt sich als Schlussfolgerung, dass Arbeitgeber zweifellos weitergehend haften, als es viele vermuten – besonders in einem internationalen Umfeld, oder wenn Partner und andere Angehörige betroffen sind.

Wir empfehlen eine umfassende Präventionsarbeit. Der Arbeitgeber muss Rechtsberatung in Anspruch nehmen, Informationen über die Arbeitsbedingungen einholen, das Betriebsumfeld analysieren, um einerseits präventive Massnahmen ergreifen und andererseits im Falle von Unfällen und Problemen angemessen reagieren zu können. Je mehr Präventionsarbeit der Arbeitgeber leistet, desto weniger ist er Rechtsstreitigkeiten und entsprechenden Verfahren ausgesetzt.

Um die Effizienz seines operativen Vorgehens verbessern und seine Rechte im Falle eines Rechtsstreits bestmöglichst geltend machen zu können, muss ein Arbeitgeber jederzeit in der Lage sein zu beweisen, dass er die geeigneten Massnahmen getroffen hat – wenn nötig mittels einer vollständigen Dokumentation dieser Massnahmen.

Zum Schluss sei gesagt, dass die Fürsorgepflicht mehr als bloss eine moralische oder ethische Verpflichtung ist. Es handelt sich um eine Rechtspflicht, die den Grundstein der Personalpolitik eines Unternehmens bilden muss. Diese Politik hat auf einer vollständigen Risikoanalyse, der Auswahl der geeigneten Massnahmen, sowie deren Umsetzung und Überwachung zu basieren sowie auf der Fähigkeit, angemessen zu reagieren, sollte sich ein Risiko konkret realisieren.

Angesichts dieser Anforderungen versteht man auch besser, weshalb Unternehmen zunehmend Fachleute für Umwelt, Gesundheit und Hygiene einstellen.

 

Best Practice-Empfehlungen für Fürsorgepflicht

  1. Bewusstsein steigern
    Fokus auf zunehmendes Bewusstsein für Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, insbesondere im gehobenen Management, dessen Mitarbeiter als wichtige Verantwortliche für Fürsorgepflicht betrachtet werden.
  1. Mit entscheidenden Beteiligten planen
    Erweitern Sie das Fürsorgepflicht-Team über die Sicherheitsabteilung hinaus, um Personalwesen, Reise-, Risikomanagement und gehobenes Management einzubeziehen.
  1. Richtlinien und Verfahren erweitern
    Entwickeln Sie zusätzliche Fürsorgepflicht-Richtlinien und -verfahren, so wie sie in anderen Teilen der Welt gängig sind.
  1. Due-Diligence ausüben
    Implementieren Sie bei Anbietern eine Due-Diligence-Disziplin mit besonderem Augenmerk auf den Aspekt der Fürsorgepflicht.
  1. Kommunizieren, bilden und schulen
    Befürworten Sie Mitarbeiter-Buy-in und schaffen Sie eine Kultur der Loyalitätspflicht.
  1. Vor jeder Reise Risiken einschätzen
    Nehmen Sie vor jeder internationalen Reise eines Mitarbeiters eine gründliche Risikobewertung vor.
  1. Lokalisieren Sie reisende Mitarbeiter jederzeit
    Implementieren Sie ein System für die Lokalisierung reisender Mitarbeiter.
  1. Ein Mitarbeiter-Notfallreaktionsprogramm implementieren
    Implementieren Sie eine ,, Mir geht es gut“ -Richtlinie.
  1. Schaffen Sie zusätzliche Management-Kontrollen
    Binden Sie die Abteilung für Rechnungswesen ein, um zusätzliche Management-Steuerinstrumente zu implementieren.
  1. Stellen Sie sicher, dass die Anbieter auf demselben Stand sind
    Prüfen Sie, ob es bei Anbietern im Rahmen der Fürsorgepflicht Überschneidungen und Übersehenes gibt.

 

Hinweis: Das vorliegende Dokument ersetzt keine spezifische Rechtsberatung im Fall der Ausführung von Arbeiten in einem Risikoumfeld und es ist nicht dafür gedacht, von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern im HRM direkt eingesetzt zu werden.

 

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