Home » Blog: HR International » Arbeitsrecht: Reisezeit bei Reisen ins Ausland

Arbeitsrecht: Reisezeit bei Reisen ins Ausland

Text von Philip Schneiter, Aargauische Industrie- und Handelskammer

Geschäftsreisen geben immer wieder Anlass zu arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen. Die Rechtslage ist nicht vollständig geklärt. Der Bundesrat hat einige Fragen zu klären versucht. Der Versuch wirft allerdings neue Fragen auf, die nicht leicht zu beantworten sind.

(…)

 

(…)

 

1.  Einleitung

Am 18. September 2020 hat der Bundesrat zahlreiche Änderungen der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1) beschlossen. Es sollen Fragen, die sich im Arbeitsalltag immer wieder stellen, geklärt werden. Die Änderungen werden am 1. November 2020 in Kraft treten.

Die Änderungen betreffen:

      • den Begriff der Arbeitszeit, insbesondere bei Reisen ins Ausland (Art. 13 ArGV 1.);
      • den Beginn und das Ende der Arbeitswoche (Art. 16 ArGV 1.);
      • die Definition der vorübergehenden bzw. dauernden Sonntags- bzw. Feiertagsarbeit (Art. 32a ArGV 1.);
      • die Lage der Arbeitszeit im zusammengesetzten ununterbrochenen Betrieb (Art. 39 ArGV 1.);
      • das Gesuch um Erteilung einer Arbeitszeitbewilligung und die Arbeitszeitbewilligung (Art. 41 f. ArGV 1.);
      • die medizinische Untersuchung und Beratung der Nachtarbeit leistenden Arbeitnehmer (Art. 45 ArGV 1.).

Näher betrachtet werden soll, wie die Reisezeit bei Reisen ins Ausland zu behandeln ist.
Vorab ist allerdings aufzuzeigen, wie die Reisezeit bei Reisen im Inland zu behandeln ist.

 

2.  Reisezeit bei Reisen im Inland

Das Arbeitsgesetz (ArG) sieht unter anderem Höchstarbeitszeiten vor. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit beträgt – z.B. für Kundenbetreuer – 45 Stunden pro Woche bzw. – z.B. für Monteure – 50 Stunden pro Woche (Art. 9 Abs. 1 ArG.). Damit die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten kontrolliert werden kann, ist die Arbeitszeit zu erfassen (Art. 46 Satz 1 ArG.). Was aber gilt als – zu erfassende – Arbeitszeit?

Als Arbeitszeit gilt die Zeit, während der sich der Arbeitnehmer zur Verfügung der Arbeitgeberin zu halten hat (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 HS 1 ArGV 1.). Keine Arbeitszeit bildet insbesondere die Zeit, die der Arbeitnehmer für die Zurücklegung des Arbeitswegs benötigt (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 HS 2 ArGV 1.).

Wenn die Arbeit ausserhalb des Orts, an dem der Arbeitnehmer normalerweise seine Arbeit verrichtet, also nicht am gewöhnlichen Arbeitsort, sondern an einem auswärtigen Arbeitsort zu leisten ist, gilt Folgendes:

      • Wenn die Wegzeit kürzer als die normale Wegzeit ausfällt, bildet die Wegzeit keine Arbeitszeit.
      • Wenn die Wegzeit länger als die normale Wegzeit ausfällt, bildet immerhin, aber bloss die Differenz zwischen der Wegzeit und der normalen Wegzeit Arbeitszeit (Art. 13 Abs. 2 ArGV 1.). Keine Rolle spielt, ob auf der Reise produktiv gearbeitet wird. Die fragliche Zeit bildet daher auch dann Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer gar nicht anstrengt, also weder Akten studiert noch ein Fahrzeug lenkt, sondern z.B. ein Buch liest.

Dass bloss die Differenz zwischen der Wegzeit und der normalen Wegzeit als Arbeitszeit anzusehen ist, gilt nicht für Arbeitnehmer, bei denen kein gewöhnlicher Arbeitsort ausgemacht werden kann, beispielsweise für Monteure. Bei Monteuren ist stets die volle Wegzeit als Arbeitszeit anzusehen: Die Arbeitszeit von Monteuren beginnt mit dem Verlassen der Wohnung. Dies jedenfalls dann, wenn der Monteur nicht vorgängig jeweils an den Betriebsort fährt, beispielsweise um Material aufzuladen. Eine Bevorteilung von Monteuren darf darin nicht erblickt werden. Es steht ja jedem Arbeitnehmer frei, in die unmittelbare Nähe des Betriebs zu ziehen und dadurch seine (unbezahlte) Wegzeit zu minimieren, um damit seine «Benachteiligung» zumindest weitgehend zu beseitigen.

Dass immerhin die Differenz zwischen der Wegzeit und der normalen Wegzeit als Arbeitszeit anzusehen ist, kann bei Arbeitnehmern, die viel auf (längeren) Reisen sind, zu einer Anhäufung unproduktiver Stunden führen. Dieser Umstand lässt sich z.B. dadurch abmildern, dass im Arbeitsvertrag für die Wegzeit ein tieferer Lohn als für die produktiven Stunden vereinbart wird. Im Arbeitsvertrag kann auch vereinbart werden, dass reines Reisen ausserhalb der normalen Arbeitszeit erst entschädigt wird, wenn das Reisen z.B. eine Stunde pro Tag übersteigt.

Wenn die Arbeit an einem bestimmten Tag z.B. in Zermatt anstatt in Aarau verrichtet wird, kann es sich – aller Massnahmen zur Abmilderung zum Trotz – ergeben, dass die Arbeitszeit zu einem grossen Teil aus Wegzeit besteht. Für die eigentliche Arbeit bleibt dann an diesem Tag nur wenig Zeit übrig. Um die Problematik zu entschärfen, ist in der ArGV 1 Folgendes vorgesehen (Art. 13 Abs. 3 HS 1 ArGV 1.).

Durch die Rückreise dürfen überschritten werden:

      • Der maximale Zeitraum der täglichen Arbeitszeit. Normalerweise muss die Arbeitszeit eines Tages innerhalb von 14 Stunden liegen (Art. 10 Abs. 3 ArG.). Wer seine Arbeit z.B. um 7 Uhr aufnimmt, muss seine Arbeit spätestens um 21 Uhr beenden. Die Rückreise von einem auswärtigen Arbeitsort darf jedoch in die Zeit nach 21 Uhr fallen.
      • Die wöchentliche Höchstarbeitszeit. Normalerweise darf die Arbeitszeit 45 Stunden pro Woche bzw. 50 Stunden pro Woche nicht überschreiten. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es jedoch zulässig, die wöchentliche Höchstarbeitszeit zu überschreiten und damit Überzeitarbeit zu leisten (Art. 12 ArG.). Überzeitarbeit darf vor allem bei Dringlichkeit der Arbeit geleistet werden (Art. 12 Abs. 1 lit. a ArG.). Die Rückreise von einem auswärtigen Arbeitsort darf jedoch erfolgen, auch wenn keine Dringlichkeit vorliegt. Wenn mit der Rückreise von einem auswärtigen Arbeitsort die wöchentliche Höchstarbeitszeit überschritten wird, liegt aber dennoch Überzeitarbeit vor. Überzeitarbeit ist zwingend mit einem Lohnzuschlag von 25 Prozent zu entlöhnen, es sei denn, dass die Überzeitarbeit im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer durch Freizeit von gleicher Dauer kompensiert wird (Art. 13 ArG.).

Dass durch die Rückreise der maximale Zeitraum der täglichen Arbeitszeit und die wöchentliche Höchstarbeitszeit überschritten werden dürfen, gilt – ebenfalls – nicht für Monteure.

Wenn ein Arbeitnehmer von der Arbeit an einem auswärtigen Arbeitsort erst spät am Abend nach Hause kommt, ist dem Arbeitnehmer die tägliche Ruhezeit zu gewähren. Der Arbeitnehmer soll seine Arbeit am nächsten Morgen erst wieder aufnehmen, nachdem der Arbeitnehmer die tägliche Ruhezeit bezogen hat. Wenn der Arbeitnehmer von einem auswärtigen Arbeitsort zurückgereist ist, beginnt die tägliche Ruhezeit erst mit dem Eintreffen des Arbeitnehmers an seinem Wohnort zu laufen (Art. 13 Abs. 3 HS 2 ArGV 1.). Wenn der Arbeitnehmer es vorzieht, z.B. einen Freund oder eine Freundin zu besuchen, bevor er nach Hause kehrt, ist vernünftigerweise davon auszugehen, dass die tägliche Ruhezeit in dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Arbeitnehmer an seinem Wohnort einträfe, wenn er es vorgezogen hätte, direkt nach Hause zu kehren. Wenn der Arbeitnehmer von einem auswärtigen Arbeitsort zurückgereist ist, beträgt die tägliche Ruhezeit 11 Stunden (Art. 13 Abs. 3 HS 2 ArGV 1.). Art. 15a Abs. 2 ArG, wonach die tägliche Ruhezeit einmal pro Woche bis auf acht Stunden herabgesetzt werden darf, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht anwendbar.

 

3.  Reisezeit bei Reisen ins Ausland

Für den Fall, dass es sich nicht um eine Reise im Inland, sondern um eine Reise ins Ausland handelt, gelten – neu – folgende Besonderheiten (Art. 13 Abs. 3bis Satz 1 ArGV 1.):

      • Wenn die in der Schweiz zurückgelegte Wegzeit kürzer als die normale Wegzeit ausfällt, bildet die in der Schweiz zurückgelegte Wegzeit keine Arbeitszeit. Dieser Fall kann sich unter Umständen bei Reisen ins nahe Ausland ergeben.
      • Wenn die in der Schweiz zurückgelegte Wegzeit länger als die normale Wegzeit ausfällt, bildet immerhin, aber bloss die Differenz zwischen der in der Schweiz zurückgelegten Wegzeit und der normalen Wegzeit Arbeitszeit.

Die im Ausland zurückgelegte Wegzeit kann vernachlässigt werden. Auch für die im Ausland zurückgelegte Wegzeit hat der Arbeitnehmer Lohn zugute. Die betreffende Zeit zählt aber insbesondere nicht zur Arbeitszeit, die zu erfassen ist, um die Frage, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit eingehalten ist, beantworten zu können.

Wer im TGV von Zürich nach Paris reist, muss die Arbeitszeit bis zur Abfahrt vom Bahnhof Basel SBB erfassen, danach nicht mehr. Wer im Flugzeug von Kloten nach Paris fliegt, muss die Arbeitszeit erfassen, bis das Flugzeug in den französischen Luftraum eindringt. Dass dies kaum praktikabel ist, liegt auf der Hand. Angesichts der überschaubaren Fläche der Schweiz wird man wohl davon ausgehen dürfen, dass die Arbeitgeberin die Weisung erteilen darf, die Arbeitszeit bei Flugreisen jeweils ins Ausland bis zum Abflug vom schweizerischen Flughafen (bzw. ab der Landung auf dem schweizerischen Flughafen) zu erfassen.

Unklar ist, ob auch bei Reisen ins Ausland gilt, dass durch die Rückreise der maximale Zeitraum der täglichen Arbeitszeit und die wöchentliche Höchstarbeitszeit überschritten werden dürfen. Die Frage dürfte allerdings keine grosse praktische Bedeutung haben. Denn im Falle einer Reise ins Ausland zählt die Zeit, die im Ausland verbracht wird, nicht zur Arbeitszeit, die zu erfassen ist, um die Frage, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit eingehalten ist, beantworten zu können. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit wird deshalb kaum einmal überschritten werden.

Für den Beginn der täglichen Ruhezeit ist bei Reisen ins Ausland – neu – Folgendes vorgesehen:

Die tägliche Ruhezeit von 11 Stunden ist unmittelbar nach der Rückreise zu gewähren. Sie beginnt – wie bei Reisen im Inland – mit dem Eintreffen des Arbeitnehmers an seinem Wohnort zu laufen (Art. 13 Abs. 3bis Satz 3 ArGV 1.). Wer von einer Reise ins Ausland in die Schweiz zurückkehrt, soll nach seiner Rückkehr nicht beschäftigt werden dürfen. Er soll zunächst einmal die tägliche Ruhezeit beziehen. Eine Ausnahme wird man sicher dort machen dürfen, wo ein Arbeitnehmer in Paris übernachtet hat und am Morgen – gut ausgeruht – nach Kloten zurückgeflogen ist, ohne noch irgendwelche Termine wahrgenommen zu haben. In derartigen Fällen kann davon ausgegangen werden, dass die tägliche Ruhezeit bereits bezogen worden ist.

Im Weiteren besteht bei Reisen ins Ausland – neu – folgende Besonderheit:

Wenn die Wegzeit ganz oder teilweise in die Nacht oder auf einen Sonntag fällt, bedarf die «Beschäftigung» des Arbeitnehmers in diesen Zeiten keiner Bewilligung (Art. 13 Abs. 3bis Satz 2 ArGV 1.). Dass keine Bewilligung erforderlich ist, bedeutet aber nicht, dass auch keine Lohnzuschläge für Nachtarbeit oder für Sonntagsarbeit auszurichten sind, wenn die Wegzeit ganz oder teilweise in die Nacht oder auf einen Sonntag fällt. Die Zuschläge sind vielmehr zu entrichten. Unklar ist, ob eine Bewilligung auch dann nicht eingeholt werden muss, wenn der Arbeitnehmer im Zug nach Paris z.B. Akten studiert. Zur Sicherheit sollte eine Bewilligung eingeholt werden, wenn der Arbeitnehmer Akten studieren soll.

Bei Reisen im Inland, die ganz oder teilweise in die Nacht oder auf einen Sonntag fallen, ist weiterhin eine Bewilligung für Nachtarbeit bzw. für Sonntagsarbeit einzuholen.

 

 

 

Picture: Shutterstock_Licensed

 

4 comments

  1. Thomas Karbowski says:

    Gut zu wissen, dass die Arbeitszeit 50 Stunden pro Woche nicht überschreiten darf. Mein Neffe hat neulich seine erste Festanstellung bekommen. Er wird darauf achten, dass er die 50 Stunden pro Woche nicht überschreitet.

  2. A.Schippert says:

    Dank Ihrer Ausführungen habe ich einige Änderungen verstanden. Wie wird nun folgendes Beispiel durch das erneuerte Gesetz bewertet: Arbeitsort Flughafen Zürich; Flug-Dienstreise via Frankfurt und Astana nach Almaty und gleichen Tags via Frankfurt zurück nach Zürich. Arbeit in Astana und Almaty jeweils eine bis drei Stunden. Ab Frankfurt auf der Crewliste aber ohne Funktion auf dem Flug. Gesamtdauer dieser Reise 31 Stunden. Was ist als Arbeitszeit, was als Reisezeit zu werten und welcher Teil der Reise wird zur Berechnung der Nachtruhezeit herangezogen. Besten Dank im voraus für Ihre Erklärungen zu diesem Beispiel.

    • expatee says:

      Grüezi Frau/Herr Schippert
      vielen Dank für Ihr Kommentar. Ich konnte folgende Rückmeldung vom Juristen für Sie einholen:

      QUOTE
      Aus den Schilderungen entnehmen wir, dass für den erwähnten Fall das Reisen die Haupttätigkeit der Position ist.
      Auf solche Mitarbeiter sind die Ausnahmebestimmungen des Arbeitsgesetzes für Geschäftsreisen nicht zugeschnitten.
      Aus unserer Sicht kommt es für die Beantwortung der Fragen des Mitarbeiters entscheidend darauf an, wie es von der Airline, etc. (Arbeitgeber) in der Vergangenheit gehandhabt wurde.
      Eine korrekte Beantwortung der Fragen des Mitarbeiters ist unseres Erachtens nur möglich, wenn man ganz genau weiss, wie die Praxis der Airline, etc (Arbeitgeber) ist, und sich auch intensiv mit den Gepflogenheiten in der Luftfahrt auseinandersetzt.
      UNQUOTE

      Somit, ich lerne mit: Reisen als Haupttätigkeit ist anders zu bemessen.

Es können keine Kommentare mehr abgegeben werden.