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Was? Weshalb? Zu Recht? Ausgewählte Gerichtsentscheide: Unfallversicherung

Text von Prof. Dr. iur Marc Hürzeler GmbH

Fallbeschrieb:
Ein österreichischer Staatsangehöriger wurde von einem schweizerischen Unternehmen als Forstarbeiter mit Einsatzort in Schweden angestellt. Kurz nach der Arbeitsaufnahme in Schweden verletzte er sich durch einen umstürzenden Baum schwer und musste in Schweden und Österreich behandelt werden. Die SUVA übernahm die Behandlungskosten und richtete Taggelder aus, bis sie die Leistungen mit sofortiger Wirkung einstellte.

(…)

 

(…)

 

Was? Weshalb? Zu Recht?

Was ist passiert?

Die Firma W. AG hat der SUVA am 14. Februar 2005 eine Zweckänderung des Betriebs (neu Holzarbeiten und Transporte) gemeldet und gleichzeitig um einen Besprechungstermin zwecks Neuerfassung ersucht, welcher am 15. März 2005 stattfand.[1]

Drei Tage nach der Zweckänderungsmeldung wurde der österreichische Staatsangehörige L. bei der W. AG als Forstarbeiter eingestellt. Am 25. Februar 2005 nahm er seine Arbeit am Einsatzort in Schweden auf. Kurz darauf, am 7. März 2005, verletzte er sich schwer durch einen umstürzenden Baum. Für die Behandlungen wurde er in ein schwedisches Krankenhaus gebracht. Danach wurden die Behandlungen in seinem Heimatstaat Österreich fortgesetzt.

Die SUVA übernahm die Behandlungskosten und richtete Taggelder aus. Sie hat während Jahren schon bei Auslandseinsätzen erlittene Unfälle von Arbeitnehmenden der W. AG, ohne Abklärung über deren Versicherteneigenschaften zu tätigen oder eine sogenannte Entsendebescheinigung zu verlangen, Leistungen ausgerichtet.

[1] Ohne gegenteiligen Hinweis beziehen sich die zitierten Erwägungen auf das Urteil des BGer 8C_475/2009 vom 22. Februar 2010.

 

 

Weshalb wurden die Leistungen eingestellt?

Mit Verfügung vom 17. Mai 2006 stellte die SUVA die Leistungen mangels Versicherungsdeckung mit sofortiger Wirkung ein. Dies begründete sie damit, dass wenn ein Arbeitnehmer von einem Schweizer Unternehmen in einem Mitgliedstaat [2] rekrutiert wird, also vorliegend wie bei L., die Voraussetzungen einer Entsendung erfüllt sein müssen, damit dieser unmittelbar in einem weiteren Mitgliedstaat die Erwerbstätigkeit aufnehmen kann. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so unterliegt der Arbeitnehmer für die zu beurteilende Tätigkeit den Rechtsvorschriften des Beschäftigungslandes (=Schweden).

Ein Aussendienstmitarbeiter der SUVA hat in einer Aktennotiz vom 4. Mai 2006 festgehalten, der Betriebsinhaber der W. AG sei bis zu seinem Besuch vom 3. Februar 2006 im Glauben gewesen, seine Angestellten seien bei der SUVA unfallversichert. Anlässlich des Betriebserfassungsbesuchs vom 15. März 2005 sei der Arbeitgeber nicht darüber informiert worden, dass für Entsandte das Formular E101 (heutiges A1) hätte ausgestellt werden müssen, weshalb die Firma ein solches bisher auch nie eingefordert habe.

[2] Vertragsstaat des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681

 

 

Wurden die Leistungen zu Recht eingestellt?

  • Der Vertrauensschutz beinhaltet das Verbot widersprüchlichen Verhaltens und verleiht einer Person Anspruch auf Schutz des berechtigten Vertrauens in behördliche Zusicherungen oder sonstiges und bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörden.
  • Die Voraussetzungen für eine Berufung auf Vertrauensschutz sind erfüllt, wenn:
      • die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat;
      • die Behörde für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder die rechtsuchende Person die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte;
      • die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne Weiteres erkennen konnte;
      • die Person im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können und
      • die gesetzliche Ordnung seit der Auskunftserteilung keine Änderung erfahren hat.

Das Bundesgericht stellt der unrichtigen Auskunft die Unterlassung einer behördlichen Auskunft, welche gesetzlich vorgeschrieben oder nach den im Einzelfall gegebenen Umständen geboten war, gleich. Voraussetzung hierfür ist, dass die Person den Inhalt der unterbliebenen Auskunft nicht kannte oder deren Inhalt so selbstverständlich war, dass sie mit einer anderen Auskunft nicht hätte rechnen müssen (BGE 131 V 472 E. 2.2).

Der unrichtigen Auskunft gleichgestellt ist die Unterlassung einer behördlichen Auskunft, welche gesetzlich vorgeschrieben oder nach den im Einzelfall gegebenen Umständen geboten war. Die dritte Voraussetzung lautet diesfalls: wenn die Person den Inhalt der unterbliebenen Auskunft nicht kannte oder deren Inhalt so selbstverständlich war, dass sie mit einer anderen Auskunft nicht hätte rechnen müssen (BGE 131 V 472 E 5).

  • Im vorliegenden Fall wurde die Bescheinigung E 101 (heutiges A1) von keiner Seite anbegehrt (E. 5.2);
  • Der Unfallversicherer darf nicht darauf vertrauen, dass sich die Unterstellung der Arbeitnehmer unter die zuständige Rechtsordnung im Rahmen eines konkreten Unfalles immer noch überprüfen lässt (E. 5.2);
  • Die Bescheinigung E 101 (heutiges A1) ist vorzugsweise vor Beginn des betreffenden Zeitraums auszustellen (E. 5.2);
  • Die Suva kann den Sachverhalt nicht selber mittels Bescheinigung E 101 (heutiges A1) verbindlich feststellen (E. 5.2);
  • Aber: Dort wo der Unfallversicherer Kenntnis davon hat, dass der Arbeitgeber Arbeitnehmer für kurzfristige Einsätze im Ausland beschäftigt, kann vom Unfallversicherer verlangt werden, dass dieser den Betroffenen anhält, um die Bescheinigung E 101 (heutiges A1) einzuholen (E. 5.2);
  • Indem die SUVA dies im vorliegenden Fall nicht getan hat, verletzte sie ihre Informationspflicht (E. 5.2);
  • Aufgrund des Verhaltens der SUVA konnten die W. AG und L. davon ausgehen, dass für den Einsatz in Schweden eine Versicherungsdeckung besteht, sie hatten keinen Grund zur Annahme, dass L die gesetzlichen Voraussetzungen für die Versicherungsdeckung nicht erfüllte (E. 5.3).

 

Fazit

Abschliessend kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass in casu die Voraussetzungen für eine Berufung auf den Vertrauensschutz erfüllt sind. Gründe des öffentlichen Interesses, welche dem Vertrauensschutz im vorliegenden Fall vorgehen würden, sind nicht auszumachen und werden auch nicht vorgebracht (E. 5.4).
Folglich wurden die Leistungen von der SUVA zu Unrecht eingestellt.

 

 

Das Urteil ist vom 22. Februar 2010, zugetragen hat sich der Sachverhalt von 2005-2006. Grobablauf der Gerichtsinstanzen:

Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 21. April 2009 und der Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom 17. Mai 2006 aufgehoben werden und die Sache an die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Leistungsanspruch neu verfüge.

 

 

Picture: Courtesy by Pixabay

 

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Was? Weshalb? Zu Recht?

Was ist passiert?

Die Firma W. AG hat der SUVA am 14. Februar 2005 eine Zweckänderung des Betriebs (neu Holzarbeiten und Transporte) gemeldet und gleichzeitig um einen Besprechungstermin zwecks Neuerfassung ersucht, welcher am 15. März 2005 stattfand.[1]

Drei Tage nach der Zweckänderungsmeldung wurde der österreichische Staatsangehörige L. bei der W. AG als Forstarbeiter eingestellt. Am 25. Februar 2005 nahm er seine Arbeit am Einsatzort in Schweden auf. Kurz darauf, am 7. März 2005, verletzte er sich schwer durch einen umstürzenden Baum. Für die Behandlungen wurde er in ein schwedisches Krankenhaus gebracht. Danach wurden die Behandlungen in seinem Heimatstaat Österreich fortgesetzt.

Die SUVA übernahm die Behandlungskosten und richtete Taggelder aus. Sie hat während Jahren schon bei Auslandseinsätzen erlittene Unfälle von Arbeitnehmenden der W. AG, ohne Abklärung über deren Versicherteneigenschaften zu tätigen oder eine sogenannte Entsendebescheinigung zu verlangen, Leistungen ausgerichtet.

[1] Ohne gegenteiligen Hinweis beziehen sich die zitierten Erwägungen auf das Urteil des BGer 8C_475/2009 vom 22. Februar 2010.

 

 

Weshalb wurden die Leistungen eingestellt?

Mit Verfügung vom 17. Mai 2006 stellte die SUVA die Leistungen mangels Versicherungsdeckung mit sofortiger Wirkung ein. Dies begründete sie damit, dass wenn ein Arbeitnehmer von einem Schweizer Unternehmen in einem Mitgliedstaat [2] rekrutiert wird, also vorliegend wie bei L., die Voraussetzungen einer Entsendung erfüllt sein müssen, damit dieser unmittelbar in einem weiteren Mitgliedstaat die Erwerbstätigkeit aufnehmen kann. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so unterliegt der Arbeitnehmer für die zu beurteilende Tätigkeit den Rechtsvorschriften des Beschäftigungslandes (=Schweden).

Ein Aussendienstmitarbeiter der SUVA hat in einer Aktennotiz vom 4. Mai 2006 festgehalten, der Betriebsinhaber der W. AG sei bis zu seinem Besuch vom 3. Februar 2006 im Glauben gewesen, seine Angestellten seien bei der SUVA unfallversichert. Anlässlich des Betriebserfassungsbesuchs vom 15. März 2005 sei der Arbeitgeber nicht darüber informiert worden, dass für Entsandte das Formular E101 (heutiges A1) hätte ausgestellt werden müssen, weshalb die Firma ein solches bisher auch nie eingefordert habe.

[2] Vertragsstaat des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681

 

 

Wurden die Leistungen zu Recht eingestellt?

  • Der Vertrauensschutz beinhaltet das Verbot widersprüchlichen Verhaltens und verleiht einer Person Anspruch auf Schutz des berechtigten Vertrauens in behördliche Zusicherungen oder sonstiges und bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörden.
  • Die Voraussetzungen für eine Berufung auf Vertrauensschutz sind erfüllt, wenn:
      • die Behörde in einer konkreten Situation mit Bezug auf bestimmte Personen gehandelt hat;
      • die Behörde für die Erteilung der betreffenden Auskunft zuständig war oder die rechtsuchende Person die Behörde aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte;
      • die Person die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne Weiteres erkennen konnte;
      • die Person im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Dispositionen getroffen hat, die nicht ohne Nachteil rückgängig gemacht werden können und
      • die gesetzliche Ordnung seit der Auskunftserteilung keine Änderung erfahren hat.

Das Bundesgericht stellt der unrichtigen Auskunft die Unterlassung einer behördlichen Auskunft, welche gesetzlich vorgeschrieben oder nach den im Einzelfall gegebenen Umständen geboten war, gleich. Voraussetzung hierfür ist, dass die Person den Inhalt der unterbliebenen Auskunft nicht kannte oder deren Inhalt so selbstverständlich war, dass sie mit einer anderen Auskunft nicht hätte rechnen müssen (BGE 131 V 472 E. 2.2).

Der unrichtigen Auskunft gleichgestellt ist die Unterlassung einer behördlichen Auskunft, welche gesetzlich vorgeschrieben oder nach den im Einzelfall gegebenen Umständen geboten war. Die dritte Voraussetzung lautet diesfalls: wenn die Person den Inhalt der unterbliebenen Auskunft nicht kannte oder deren Inhalt so selbstverständlich war, dass sie mit einer anderen Auskunft nicht hätte rechnen müssen (BGE 131 V 472 E 5).

  • Im vorliegenden Fall wurde die Bescheinigung E 101 (heutiges A1) von keiner Seite anbegehrt (E. 5.2);
  • Der Unfallversicherer darf nicht darauf vertrauen, dass sich die Unterstellung der Arbeitnehmer unter die zuständige Rechtsordnung im Rahmen eines konkreten Unfalles immer noch überprüfen lässt (E. 5.2);
  • Die Bescheinigung E 101 (heutiges A1) ist vorzugsweise vor Beginn des betreffenden Zeitraums auszustellen (E. 5.2);
  • Die Suva kann den Sachverhalt nicht selber mittels Bescheinigung E 101 (heutiges A1) verbindlich feststellen (E. 5.2);
  • Aber: Dort wo der Unfallversicherer Kenntnis davon hat, dass der Arbeitgeber Arbeitnehmer für kurzfristige Einsätze im Ausland beschäftigt, kann vom Unfallversicherer verlangt werden, dass dieser den Betroffenen anhält, um die Bescheinigung E 101 (heutiges A1) einzuholen (E. 5.2);
  • Indem die SUVA dies im vorliegenden Fall nicht getan hat, verletzte sie ihre Informationspflicht (E. 5.2);
  • Aufgrund des Verhaltens der SUVA konnten die W. AG und L. davon ausgehen, dass für den Einsatz in Schweden eine Versicherungsdeckung besteht, sie hatten keinen Grund zur Annahme, dass L die gesetzlichen Voraussetzungen für die Versicherungsdeckung nicht erfüllte (E. 5.3).

 

Fazit

Abschliessend kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass in casu die Voraussetzungen für eine Berufung auf den Vertrauensschutz erfüllt sind. Gründe des öffentlichen Interesses, welche dem Vertrauensschutz im vorliegenden Fall vorgehen würden, sind nicht auszumachen und werden auch nicht vorgebracht (E. 5.4).
Folglich wurden die Leistungen von der SUVA zu Unrecht eingestellt.

 

 

Das Urteil ist vom 22. Februar 2010, zugetragen hat sich der Sachverhalt von 2005-2006. Grobablauf der Gerichtsinstanzen:

Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 21. April 2009 und der Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom 17. Mai 2006 aufgehoben werden und die Sache an die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Leistungsanspruch neu verfüge.

 

 

Picture: Courtesy by Pixabay